Bundespräsident a.D. Christian Wulff hält engagierte Rede bei Symposium von Westfalen e.V. und Stadt Hamm/Grußwort von ukrainischer Generalkonsulin berührt die Gäste
„Die Demokratie klingelt nicht, wenn sie geht. Auf einmal ist sie einfach weg!“ Mit dieser Feststellung und einem leidenschaftlichen Appell, jeder einzelne möge seinen Beitrag dazu leisten und entschlossen für die Werte unserer Demokratie eintreten, schloss der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff am Sonntag unter großem Beifall seinen Impulsvortrag anlässlich einer Festveranstaltung aus Anlass der 375 Wiederkehr des Westfälischen Friedens von Münster und Osnabrück im Jahre 1648. „Die Demokratie und Europa sind viel zerbrechlicher als wir vielleicht denken. Frieden und Freiheit sind auch heute nicht selbstverständlich“, sagte Wulff zuvor bei der Veranstaltung von Westfalen e.V. und der Stadt Hamm im Festsaal des Maximilianparks. Es sei die große Aufgabe der kommenden Generation, die Werte der Demokratie zu behaupten.
Der Friedensschluss von 1648 nach 30 Jahren Krieg habe Wegweisendes geleistet und könne noch heute in komplexen Konfliktlagen wie zum Beispiel dem Krieg in der Ukraine teilweise als Vorbild dienen. „Mir gefällt am Westfälischen Frieden, dass damals überhaupt verhandelt wurde“, sagte Wulff. Das sei wesentlicher Teil des Erfolges gewesen. Auch unter schwierigen Bedingungen sei immer weiterverhandelt worden, obwohl der Krieg unterdessen noch jahrelang tobte. Ihn störe, dass in der aktuellen Zeit Konflikte häufig nur „eingefroren“ würden. Das aber löse die Probleme nicht. Den Kriegsparteien in der Ukraine empfahl der frühere Bundespräsident deshalb, sich ebenfalls für Verhandlungen zu öffnen. Auch hier sei – wie seinerzeit – Vermittlungshilfe von Partnern vonnöten, die nicht direkt in Kriegshandlungen verstrickt seien.
„Sehr gut finde ich außerdem, dass der Westfälische Friede die Tür weit geöffnet hat für die Anerkennung von Vielfalt, von Toleranz und von Föderalismus auf beiden Seiten“, so Wulff weiter. Das müsse auch heute die Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Osteuropa sein. Den Deutschen komme dabei vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte eine besondere Verantwortung zu. Viel entschiedener als bisher müssten die Deutschen den Anfängen des Nationalismus entgegentreten. „Wir waren nie eine homogene Gesellschaft, sondern wir sind geprägt durch die Vielfalt in unserer Gesellschaft“, sagte der CDU-Politiker. Sich dessen bewusst zu sein und Empathie und Verständnis für den jeweils anderen zu zeigen, sei eine wesentliche Voraussetzung für Frieden und Freiheit. Die interkulturelle Vielfalt in unserer Gesellschaft zu respektieren, berge große Chancen.
Das emotionale Momentum des Festakts hatte die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum, die sich beim Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Hamm für die große Solidarität und Hilfe angesichts des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges gegen ihr Heimatland bedankte. Die vielen Hilfstransporte in die Ukraine, aber auch die Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in den vergangenen eineinhalb Jahren zeigten, dass die Ukraine zu Europa gehöre. Iryna Shum beschwor ein gemeinsames Europa: „Fällt die Ukraine, gibt es keine Stabilität mehr auf der anderen Seite.“
In einer lebhaften Diskussionsrunde mit dem Plenum unter der Moderation des Journalisten Robert Vornholt kamen viele Aspekte zur Sprache: NRW-Schulministerin Dorothee Feller erklärte, den Schulen komme bei der Verteidigung der Demokratie eine Schlüsselrolle zu. In den Schulen würden demokratische Werte vermittelt und erfahrbar gemacht. „Es gibt zudem sehr viele Gedenkstättenbesuche von Schulklassen, was ich sehr unterstütze“, so Feller. „Die persönlichen Eindrücke vor Ort sind viel prägender als es ein Geschichtsbuch jemals vermitteln könnte.“ NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach sagte, Demokratie könne nicht aus sich selbst heraus bestehen. „Demokratie braucht Mitgestaltung, braucht Haltung. Jeder Einzelne ist da gefordert“, sagte Ina Scharrenbach. Der Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe, sagte, auch jetzt müsse schon an die Zeit nach dem Krieg gedacht werden. „Nicht jeder Russe ist ein böser Mensch.“ Es gebe viele unschuldige Menschen in Russland, die verfolgt, inhaftiert und verschleppt worden seien. Auch da dürften Deutsche nicht wegschauen.
Der inzwischen emeritierte münstersche Historiker Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer hatte schon in seinem Einleitungsvortrag auf den Punkt gebracht, warum der Westfälische Friede von 1648 bis heute hohe Aktualität besitzt: „Die Gegensätze verschwanden nicht, aber es wurden Lösungen gefunden, die eine Koexistenz ermöglichten.“ Seinerzeit ging es um Konfessionsgegensätze, heute vor allem wohl um geostrategische Machtinteressen. Beiden Konfliktlagen haben eines gemeinsam: sie sind sehr verknäult. Damals war das Ergebnis eine neue völkerrechtliche Ordnung von prinzipiell gleichberechtigten und unabhängigen Staaten.
Bereits zum Auftakt der Veranstaltung hatte Westfalen-e.V.-Vorsitzender Manfred Müller betont, dass Europa dafür gesorgt habe, dass es eine lange Friedensphase gegeben habe. Der Hammer Oberbürgermeister Marc Herter zitierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“
Gemeinsam mit Schulministerin Dorothee Feller und Müller würdigte das Stadtoberhaupt Hamms gegen Ende der Veranstaltung den Videobeitrag der Friedensschule, deren Projektgruppe einen Wettbewerb der Katholischen Friedensstiftung (Schirmherr ist der in Osnabrück geborene Christian Wulff) zum Thema Westfälischer Friede erstellt und damit den zweiten Platz belegt hatte. Lara Goetz und Mats Hagedorn erläuterten, dass das Filmprojekt auch gezeigt habe, dass die Hoffnung auf Frieden niemals aufgegeben werden dürfe. Das Preisgeld von 500 Euro werde der Ukraine-Hilfe gespendet, kündigte Hagedorn an. Die Gäste im Festsaal würdigten den Videobeitrag mit langanhaltendem Applaus – und erhoben sich vor den „Filmemachern“. Geschichtslehrerin Elisabeth Altstädt freute sich, dass Schulministerin Feller die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mit dem Hinweis würdigte, dass Schule vielfach besser sei, als manche Kritiker behaupteten. Da sei der Beitrag der Friedensschule ein besonders gelungenes Beispiel – und Gastgeschenke waren der symbolische „Lohn“ für die außergewöhnliche Leistung.
Hier können Sie sich den Filmbeitrag der Friedensschule Hamm anschauen: https://www.friedenswettbewerb.org/elisabeth-altstaedt/
Eindrücke von der Tagung – vielen Dank an den Fotografen Friedrich Kulke: