Mit der heutigen Ernennung der Ministerinnen und Minister ist die Bildung der neuen schwarz-grünen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen abgeschlossen. Das ist Anlass für Westfalen e.V. – die Interessenvertretung für Westfalen und Lippe – ein Fazit zu ziehen und Forderungen für den Einzugsbereich der Regierungsbezirke Arnsberg, Detmold und Münster zu formulieren.
„Ich gratuliere Ministerpräsident Hendrik Wüst und seinem Kabinett-Team und wünsche den Regierenden eine glückliche Hand, denn die aktuellen Krisen sind eine besondere Herausforderung für alle Verantwortlichen. Mit Regierungschef Wüst (CDU, westliches Münsterland) sowie den Kabinettsmitgliedern Dorothee Feller (CDU, bisherige Regierungspräsidentin in Münster), Ina Scharrenbach (CDU, westfälisches Ruhrgebiet), Karl-Josef Laumann (CDU, nördliches Münsterland) und Josefine Paul (Grüne, Münster) sind Frauen und Männer aus Westfalen in Leitungspositionen, die sich ihrer Heimat verpflichtet fühlen“, erklärt Westfalen-e.V.-Vorsitzender Manfred Müller. Dass mit Andé Kuper (CDU, Ostwestfalen) als Landtagspräsident ein weiterer Westfale auch künftig große Verantwortung trägt, begrüßt Müller ausdrücklich. Erfreulich sei außerdem, dass mit Josef Hovenjürgen (CDU, Münsterland) und Daniel Sieveke (CDU, OWL) zwei Staatssekretäre aus der Region ernannt wurden. „Wo Nordrhein-Westfalen drauf steht, muss auch entsprechend viel Westfalen drin sein“, betont Müller, dass die Entwicklung der verschiedenen Landesteile gleichberechtigt gefördert werden müsse. Der Strukturwandel im Rheinischen Revier dürfe nicht dazu führen, dass andere Bereiche von Nordrhein-Westfalen vernachlässigt würden. Gerade die ländlichen Regionen müssten im Fokus bleiben, denn hier seien bereits wesentliche Schritte für die Ausrichtung auf ein klimaneutrales Industrieland Nordrhein-Westfalen – etwa die Installierung von Windenergieanlagen – gemacht worden. „Unter dem Eindruck der Energiekrise müssen frühere Tabus beseitigt werden“, setzt Müller darauf, dass bei der „Energiewende mehr Tempo gemacht“ werde. Dazu müssten die „Bezirksregierungen als Genehmigungsbehörden adäquat ausgestattet sowie die Verfahren weiterhin bürgernah und dialogorientiert mit angemessener Bürgerbeteiligung durchgeführt werden“. Die Krise böte eine große Chance, denn: „Überschüssige regenerative Energie kann zu Wasserstoff verarbeitet werden und verschafft gegenüber südlich liegenden Bundesländern einen klaren Standortvorteil. Es ist zu begrüßen, dass Kommunen von ihren Windkraftanlagen im eigenen Haushalt profitieren sollen. Als ,Modellregion Wasserstoff‘ bietet sich das westfälische Ruhrgebiet an, weil es über den Anschluss an die Windkraftregionen in Westfalen verfügt.“
In Westfalen müsse neben der Gesundheitsversorgung in den ländlichen Regionen der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) besonders beachtet werden, so Müller. Die dazu im Koalitionsvertrag genannten Steigerungsrate von 60 Prozent müsse auch in der Fläche umgesetzt werden. Die dafür notwendige Finanzierung sei aber bislang nicht erkennbar. Bereits derzeit litten die Kommunen dabei – erst recht nach Corona – unter chronischer Unterfinanzierung.
Weitere Positionen von Westfalen e.V. sind der nachfolgenden Stellungnahme zu entnehmen.
Westfalen e.V.:
Detaillierte Stellungnahme zum „Zukunftsvertrag“ der neuen Landesregierung
Die Ausrichtung auf ein klimaneutrales Industrieland Nordrhein-Westfalen ist richtig. Nicht erst seit dem Ukraine-Krieg war es sinnvoll, wegen der überragenden Bedeutung einen Schwerpunkt auf die bislang überwiegend aus fossilen Quellen gespeiste Wärmeversorgung zu legen. Es ist zu begrüßen, dass die strategische Wärmeplanung viel stärker aus regenerativen Energiequellen gedeckt werden soll. Kommunale Wärmepläne sind dafür ein richtiger Weg.
Ziel muss die schnellstmögliche Energieunabhängigkeit von Russland sein. Digitalisierung der
Energiewirtschaft und Verfahrensbeschleunigung für alle Anlagen der Energieerzeugung –
insbesondere Windkraft und Photovoltaik – sind das Gebot der Stunde. Dem Ausbau der Windkraft
kommt hier – neben der Solarenergie – eine überragende Bedeutung zu. Klimaschutz und
Unabhängigkeit von Russland erfordern hier mehr Tempo. Früher vielleicht nicht denkbare
Windkraftanlagen im Wald und in Gewerbegebieten müssen heute vorangebracht werden.
Die Übertragung der Genehmigungszuständigkeit auf die Bezirksregierungen wird nur dann zu einer
Beschleunigung der Verfahren führen, wenn die Bezirksregierungen mit ausreichenden Ressourcen
ausgestattet werden. Zudem ist trotz aller Schnelligkeit wichtig, dass die Verfahren weiterhin
bürgernah und dialogorientiert mit angemessener Bürgerbeteiligung durchgeführt werden.
Überschüssige regenerative Energie kann zu Wasserstoff verarbeitet werden und verschafft
gegenüber südlich liegenden Bundesländern einen klaren Standortvorteil. Es ist zu begrüßen, dass
Kommunen von ihren Windkraftanlagen im eigenen Haushalt profitieren sollen.
Als „Modellregion Wasserstoff“ bietet sich das westfälische Ruhrgebiet an, weil es über den
Anschluss an die Windkraftregionen in Westfalen verfügt.
Ein Bekenntnis zum Weiterbetrieb bislang noch nicht abgeschalteter Atomkraftwerke fehlt. Sie
könnten zur weiteren Stromerzeugung zur Vermeidung von Kohle- bzw. Gaskraftwerken dienen.
Die Ressourcen werden in Zukunft aufgrund der aktuellen Krisenlage knapper sein. Die besondere
Förderung des „Rheinischen Reviers“ aufgrund des Kohleausstiegs darf nicht zu einer Benachteiligung des westfälisch-lippischen Landesteils führen.
Verkehr
„Das Bekenntnis der neuen Koalition, den Anteil des ÖPNV um 60 Prozent bis 2030 zu steigern, wird
begrüßt. Dies muss aber für alle Landesteile gelten. Schon vor Corona verschob sich die ÖPNV-
Finanzierung stark ins Negative. Jetzt ist die Situation noch viel schlimmer. Wenn die beabsichtigten –
und sehr begrüßenswerten – Steigerungen im ÖPNV und SPNV erfolgen sollen, müssen
Milliardenbeträge aufgewendet werden, um die öffentlichen Verkehre zu stützen und aufzubauen.
Das gilt erst recht, wenn diese Verkehre dekarbonisiert werden sollen. Die Finanzierung dafür ist im
Koalitionsvertrag noch nicht aufgezeigt“, befindet Westfalen-e.V.-Vorsitzender Manfred Müller.
Große Zustimmung signalisiert Westfalen e.V. insbesondere auch für die Unterstützung und den
Ausbau der umweltfreundlichen Schiene nach dem Bundesverkehrswegeplan und die Einbeziehung
in den Deutschlandtakt. Dadurch wird die überörtliche Anbindung unseres Landes deutlich
verbessert. Dafür braucht es dann aber auch die konkrete Landesunterstützung von
Trassenergänzungen wie sie Westfalen e.V. auf der ICE Strecke Bielefeld – Hannover schon lange
fordert.
Sehr positiv gesehen werden Planungserleichterungen für alle Projekte, die dem Klimaschutz dienen.
Die großzügige Aufstockung für den Radwegebau wird ausdrücklich begrüßt. Zunehmend werden
größere Strecken mit dem Rad bzw. dem E-Bike zurückgelegt, auch zur Arbeit. Dafür sind spezielle
Radwegekonzepte zu fördern.
Westfalen e.V. begrüßt das Bekenntnis der Koalition zum Luftverkehr. Die westfälischen
Verkehrsflughäfen Münster/Osnabrück, Dortmund und Paderborn/Lippstadt sind auf Dauer
unverzichtbare Bestandteile der Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen. Sie bekennen sich im
Klimaschutzbündnis in einer Selbstverpflichtung für klimaneutrale Flughäfen.
Bildung und Schule
Westfalen e.V. begrüßt die Förderung von Kitas und Einrichtungen frühkindlicher Bildung in kleinen
Einheiten ebenso wie das Bekenntnis zum Schulangebot im Primar- und Sekundarstufe 1 und das
besondere Augenmerk, wenn es die einzige weiterführende Schule vor Ort ist.
Die Förderung der MINT-Fächer und die Digitalisierung der Schulen sind elementar auch für das
Industrie- und Innovationsland NRW. Schulen müssen – wenn es sein muss – von jetzt auf gleich z.B.
aufgrund der Coronasituation in der Lage sein, auf digitalen Unterricht umzusteigen.
Hochschulen
Die neue Medizinische Fakultät OWL braucht weiterhin für ihren Aufbau eine besondere
Unterstützung.
Digitales und Netzausbau
Das Ziel, bis 2030 ein flächendeckendes Glasfasernetz auszubauen, sollte früher erreicht werden.
Fachkräfte
Das Land muss extreme Anstrengungen unternehmen, insbesondere im technischen und IT-Bereich
Fachkräfte anzuwerben bzw. auszubilden. Hier gab es in der Vergangenheit erhebliche Defizite, die zu
besonderen Problemen beim Fortschritt von Bau- und Verkehrsprojekten bzw. im IT und
Digitalisierungsbereich geführt haben. Ggfs. sind eigene Ausbildungs- und Fortbildungsbemühungen
anzustreben. Wie erfolgreich das sein kann, zeigt der Polizeibereich.
Innere Sicherheit
Die Fortsetzung der konsequenten Kriminalitätsbekämpfung („Null-Toleranz“) wird begrüßt. Sie war
und ist erfolgreich. Gleichwohl darf auch die Verkehrssicherheitsarbeit auf den Straßen, aber auch
zur Prävention etwa an den Schulen, nicht vernachlässigt werden. Die zuletzt in der Coronazeit
zurückgehende Zahl der Unfalltoten und Schwerverletzten spiegele stille Schicksale wider, die
aufgrund ihrer traurigen Alltäglichkeit nicht so sehr wie Opfer krimineller Akte in den Blick der
Öffentlichkeit geraten.
Landwirtschaft
Die beabsichtigten Maßnahmen zur Förderung einer umweltverträglichen bzw. biologischen
Landwirtschaft mit einem Höchstmaß an Tierschutz und Umweltverträglichkeit sind richtig.
Gleichwohl müssen die landwirtschaftlichen Produkte aber auch für die Verbraucher bezahlbar sein und bleiben. Wir vermissen ein deutliches Bekenntnis dazu, dass die Landwirtschaft von ihrer Arbeit auf ihren Betrieben leben können und die Höfe auch existieren müssen.
Verfassungsgerichtshof
Westfalen e.V. begrüßt die Absicht der Koalition, den Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-
Westfalen in einer eigenen Liegenschaft in Münster unterzubringen.
Kommunales
Die Kooperation des Landes mit den Kommunen ist grundlegend. Zur Vermeidung unnötiger
Bürokratie sollten Mittel mit möglichst freier Verfügbarkeit überlassen werden.
Die vorgeschlagene Experimentierklausel wird ausdrücklich begrüßt, um Innovationen zu fördern.
Kommunale Kooperation
Die Regionale(n) waren in der Vergangenheit als Instrument zur Förderung kommunaler Kooperation
ausgesprochen erfolgreich. Die Auslobung einer neuen Regionale ist zielführend.
Die Denkmalschutzmittel sollten weiter aufgestockt werden, um die Akzeptanz und die Erhaltung stadt- und ortsbildprägender Gebäude zu sichern und zu fördern.