Wewelsburg/Westfalen. Westfalen e.V. Vorsitzender Manfred Müller spricht zum 79. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Niederhagen am Mahnmal in Wewelsburg/Westfalen
- Vorsicht mit Rechts- oder Linksradikalen, die demokratisch daherkommen. Die Verfassung garantiert die Demokratie. Aber das tat sie 1933 auch. Hitler hatte bei seiner Wahl zum Reichskanzler nur zwei weitere Minister aus seiner Partei, Göring und Frick. Acht weitere Minister kamen aus anderen Parteien. Trotzdem: nach wenigen Monaten war der Rechtsstaat dahin, die Pressefreiheit genommen, die Länder geleichgeschaltet und die Demokratie quasi abgeschafft.
- Vorsicht ist geboten, wenn Krisen den Staat erschüttern. Deutschland hatte 1930 3 Mill. Arbeitslose. 1933 lag die Arbeitslosenzahl bei knapp 5,6 Millionen. Mit der Arbeitslosenzahl hatte sich auch der Stimmenanteil der Nationalsozialisten in etwa verdoppelt. Was glauben Sie, passiert in Deutschland heute, wenn unsere Wirtschaft deutlich einbricht und die Arbeitslosenzahl massiv steigt? Die Bundesrepublik ist nicht die Weimarer Republik. Aber haben nicht die Finanz- und Coronakrise, der Ukrainekrieg und die vielen Flüchtlinge radikalen Parteien von rechts und links Stoff für Verschwörungstheorien gegeben? Unsere Demokratie ist standhaft, aber sie muss es jeden Tag immer wieder neu beweisen. Dafür gibt es keine Garantie!
- Deswegen: Vorsicht, wenn Politik nur beschwichtigt und die Probleme nicht benennt und sie damit nicht löst. Unser Innenminister Herbert Reul hat in diesem Zusammenhang einem Beitrag für die FAZ gesagt: „Wer dazu schweigt, macht sich mitschuldig!“ Die Bürgerinnen und Bürger verlangen Problemlösungen. Und sie vertragen auch die Wahrheit, auch wenn wir in Schwierigkeiten stecken in Deutschland. Die Politik auf allen Ebenen muss sich an Lösungen orientieren. Populismus betreiben andere schon genug. Der Weimarer Republik wurde immer als Debattierclub diffamiert. In diese Gefahr darf man nicht kommen. Eine Regierung hat die Pflicht zur Zusammenarbeit. Man kann über die Richtung streiten. Das ist Demokratie. Aber man muss liefern. Das ist Wählerauftrag.
- Wir dürfen uns nicht nur entrüsten und die Anhänger radikaler Parteien in die Ecke stellen. Das isoliert sie und fördert ein trotzige „jetzt erst recht Stimmung“. Wir müssen mehr Argumente liefern. Die vielen Demonstrationen und auch Veranstaltungen wie diese sind wichtig – und sie zeigen offenbar auch Wirkung. Aber letztlich braucht es sachliche Argumente, um diejenigen zurückzugewinnen, die populistischen Bewegungen von rechts und jetzt teilweise auch von links anhängen. Ich bin bei mehreren Demonstrationen dabei gewesen – ganz ehrlich – da fehlt mir noch was. Und deswegen ein Argument, dass ich viel zu selten gehört habe:
- Europa hat schon fast 80 Jahre Frieden in Mitteluropa gesichert! Diktaturen haben in der Geschichte immer über kurz oder lang zu Krieg geführt. Das war bei den Nazis so und ist im Augenblick in Russland ebenfalls zu sehen. Nationalisten sind kollektive Egoisten – und das führt zu Kollisionen mit anderen Staaten. Und schon bald sind sie mit ihren Nachbarn in erbittertem Streit. Deswegen:
- Vorsicht bei Parteien, die Europa nicht wollen, die nur das Nationale betonen, die den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung abschaffen wollen! Deutschland lebt vom Export. Weniger Europa kostet Wohlstand! Kein Europa führt tendenziell zu Notstand!
- Europa schafft Lebensqualität Wir reisen und bezahlen in vielen Ländern mit dem Euro. Das Telefon- und Datennetz ist synchronisiert. Energieströme fließen hin und her über die Grenzen. Radikal-nationale Parteien wollen zurück zur nationalen Wagenburg. Das kostet auch Freiheit und Lebensfreude! Ich möchte allen Nationalisten zurufen: Europa liegt im deutschen Interesse!
- Vorsicht bei denen, die mit dem russischen Diktator sympathisieren! Der tritt das Völkerrecht und die Menschenwürde mit Füßen. Was lässt das für Rückschlüsse auf die zu, die ihn unterstützen?
- Vorsicht bei denen, die aus der Nato austreten wollen! Demokratische Staaten müssen wehrhaft sein, müssen ihre Werte verteidigen können. Wir dürfen nicht in Abhängigkeit von Diktaturen kommen – in welcher Form auch immer. Eine Demokratie muss sich gegen Extremisten schützen – im Inneren und auch nach außen. Und da spielt es keine Rolle, dass viele von uns vor der „Zeitenwende“ anders gedacht haben. Denn wir müssen für unsere Freiheit einstehen.
- Vorsicht bei denen, die Menschen in unterschiedliche Wertigkeiten einsortieren. Das hatten wir alles schon einmal – in der extremsten Form, wie man sie sich vorstellen kann. Das Wort „Remigration“ klingt zunächst gar nicht so dramatisch. Dahinter steckt bei Rechtsradikalen aber Menschenverachtung und die massive Missachtung der Menschenwürde. Denn es geht Radikalen nicht um ein geordnetes Staatsangehörigkeitsrecht, das jeder Staat braucht. Sie verfolgen u.a. eine massive Missachtung des Gleichheitsgrundsatzes und der Menschlichkeit. Eine Andersbehandlung wegen ihrer Rasse, ihrer Herkunft, ihrer Religion, politischen Anschauung oder vielleicht auch wegen ihrer Behinderung? Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deswegen ist es so wichtig, auch regional – auch hier in Westfalen-Lippe – für Demokratie und wider das Vergessen kämpfen. So wie es heute hier geschieht. Und ich spreche auch als Vorsitzender von Westfalen e.V., der sich diesen Themen auch aus den Werten des Westfälischen Friedens verpflichtet fühlt.
Meine Damen und Herren, unsere Nationalhymne fordert „Einigkeit und Recht und Freiheit!“ Wir müssen einig sein beim Eintreten für unsere demokratischen Werte und die Menschenwürde, für die Wahrung des Rechtsstaates und für die Sicherung unserer Freiheit! Hier an dieser Stelle wurden Menschen ihrer Würde beraubt – für immer. Deswegen gilt umso mehr:
Nie wieder ist wirklich jetzt!